Die Lutherfeier

Am 13. November 1933 hatten sich die Deutschen Christen im Berliner Sportpalast zu einer Großveranstaltung versammelt, die mit einem Skandal endete. In einer spektakulären Rede hatte der Berliner Gauobmann Krause die Konturen einer zukünftigen deutschen Volkskirche entworfen, die "sich frei macht von allem Undeutschen in Gottesdienst und Bekenntnis insbesondere vom Alten Testament und seiner jüdischen Lohnmoral", von dessen "Viehhändler- und Zuhältergeschichten". Es sollte nun Ernst gemacht werden mit der Verkündigung einer "von aller orientalischen Entstellung gereinigten schlichten Frohbotschaft" und einer "heldischen Jesusgestalt" als "Grundlage eines artgemäßen Christentums". In dieser neuen völkischen Kirche werde erst die Reformation Martin Luthers vollendet.

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Gedenkfeier zum 450. Geburtstag Martin Luthers (10. November 1933) am 19. November 1933 im Berliner Lustgarten

Diese entlarvende Rede rief einen Sturm der Entrüstung hervor und hatte zahlreiche Austritte zur Folge. Der wenige Wochen zuvor in Wittenberg zum Reichsbischof gekürte Ludwig Müller sah sich gezwungen, Krause aus allen kirchlichen Ämtern zu entlassen. Die Glaubensbewegung geriet in eine innere Krise und war fortan gespalten in einen radikalen und einen gemäßigten Flügel. Es ist vorstellbar, daß nicht zuletzt diese skandalöse Sportpalastrede die in Emmaus schwelenden Konflikte zum Ausbruch brachte. Nur wenige Tage später, am 19. November 1933, fand im Lustgarten eine große (um 9 Tage verspätete) Gedenkfeier zum 450. Geburtstag Martin Luthers statt, an der auch Abordnungen von Emmaus teilnehmen sollten. Bei der Formierung des Festzuges im Anschluß an den Gottesdienst kam es noch auf dem Lausitzer Platz zu einem Eklat. Das Geschehen schildert der Gruppenleiter der DC in einem Denunziationsbrief vom nächsten Tage so: "Die Marschordnung war von mir wie folgt angegeben: An der Spitze ein Mitglied der Glaubensbewegung 'Deutsche Christen' im Braunhemd, sodann die Musikkapelle, dann die Fahnenabordnung unserer Glaubensbewegung, anschließend die Herren Pfarrer und die Gemeinde. Der geschäftsführende Pfarrer unserer Gemeinde Herr Pfarrer FREYBE untersagte aber in brüskem Ton unserer Fahnenabordnung vor ihm zu marschieren und verwies sie hinter sich. Als ich Herrn Pfarrer Freybe als Gemeindegruppenleiter darauf aufmerksam machte, daß diese Marschordnung gang und gäbe und ganz in Ordnung wäre, verbat er sich in schärfstem Ton jede Einmischung von meiner Seite. Es kam naturgemäß zu scharfen Auseinandersetzungen darüber, die eine große Anzahl von Mitgliedern unserer Gemeinde veranlaßten den Marsch nicht mitzumachen. (...) Wenn Herr Pfarrer Freybe schon vor der Fahne marschierte, so hätte er die Ehrenbezeugungen, die der Fahne erwiesen wurden, erwidern müssen. Das ist nicht geschehen." Den größten Anstoß hatte aber die Äußerung Pfarrer Freybes ausgelöst, "die Fahnenabordnung der,Deutschen Christen' solle zufrieden sein und dürfe es als eine besondere Vergünstigung von seiner Seite betrachten, daß er der Fahnenabordnung gestatte, unmittelbar hinter ihm zu marschieren und daß er sie nicht an das Ende des Zuges verweise". Auf diese "unerhörte Beleidigung und Mißachtung unserer Fahne und der uns heiligen Symbole" wie Adolf Hitlers und der ganzen Glaubensbewegung, die darin zum Ausdruck kommt, müsse die "sofortige Abberufung oder Pensionierung dieses Pfarrers" erfolgen. Man weigerte sich andernfalls, weiter im GKR mitzuarbeiten.

Lutherfeier 2

Ansprache des Vorsitzenden des Evangelischen Bundes D. Fahrenhorst auf der Lutherfeier im Lustgarten

Dieser Brief bildete den Auftakt einer wahren Flut von Beschwerden und Eingaben des DC-Gruppenleiters, mit denen er die Pfarrer förmlich überschwemmte. Mit immer wieder neuen Anmahnungen zur Amtsenthebung terrorisierte er den GKR und die Kirchenleitung. Aber soviele Pfarrer waren inzwischen aus ihren Ämtern gejagt. Das Geld für die Pensionen wurde knapp. Das geht aus einer handschriftlichen Notiz zu dem Vorgang in den Konsistorialakten hervor. Pfarrer Freybe legte, schließlich zermürbt oder weil er die GKR-Arbeit nicht blockieren wollte, zumindest die Geschäftsführung nieder, die ab September 1934 auf Pfarrer Huhn überging. Mit einer Beschwerde gegen Matthes an das Konsistorium vom 21.12.1933 versuchten die Pfarrer ihrerseits in die Offensive zu gehen. Sie entlarvten darin die wahren Beweggründe des DC-Führers, nämlich durch die Amtsenthebung Pfarrer Freybes einen deutsch-christlichen Pfarrer an die Gemeinde zu bringen, "angeblich um allen Gemeindegliedern zu genügen und Ruhe zu schaffen. In der Tat aber würde die in diesem Jahre hauptsächlich durch Herrn Matthes entstandene Spaltung dadurch erst recht stabilisiert, und die Machtansprüche der D.C.-Gruppe würden immer rigoroser geltend gemacht werden. Schon geht das Gerücht in der Gemeinde und ihrer Umgebung um, alle vier Emmauspfarrer sollten verschwinden. Wenn auch die D.C.-Gruppe im Gemeinde-
kirchenrat die Hälfte, in der Gemeindevertretung die Mehrheit der Sitze innehat, so stehen durchaus nicht - wie in dem Schreiben des Herrn Matthes behauptet wird - mindestens 75 % der Gemeinde auf ihrer Seite; man könnte dafür eher höchstens 25 % sagen, wie besonders der Kirchenbesuch wieder und wieder beweist. Immer mehr Gemeindeglieder kommen zu der Einsicht, daß sie sich in der D.C.-Bewegung getäuscht haben, und stellen sich nicht wie Herr Matthes und seine Gefolgschaft hinter den Redner der Sportpalastkundgebung, Herrn Dr. Krause."

 

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