Der "Maulkorberlass" des Reichsbischofs

Im Dezember 1933 war durch eine Vereinbarung zwischen dem Reichsbischof Müller und dem NS-Jugendleiter Baldur von Schirach die Evangelische Jugend in die Hitler-Jugend eingegliedert worden. Das bedeutete, unabhängige christliche Jugendarbeit war kaum mehr möglich. Gleich zu Beginn des neuen Jahres, am 4. Januar 1934, unternahm Müller einen weiteren Handstreich und verbot kurzerhand alle kirchenpolitischen Auseinandersetzungen und Kundgebungen. Bei Zuwiderhandlung drohte Amtsenthebung. Gegen diesen "Maulkorberlaß" erhob der Pfarrernotbund in einer von 172 Pfarrern unterzeichneten "Entschließung" sofort Protest. Diese Entschließung wurde als Kanzelabkündigung am 7. und 14. Januar 1934 in Hunderten deutscher Kirchen verlesen. Auch diesmal gehörten alle vier Emmaus-Pfarrer zu den Unterzeichnern, und selbstverständlich wurde sie auch in der Emmaus-Kirche verlesen. Es heißt darin u.a.: "Wir stellen fest: Schrift und Bekenntnis der Kirche sind nach wie vor aufs ernsteste bedroht. Bischöfe und Träger hoher Ämter in unserer Kirche, die beim Widerstand gegen das in die Kirche eindringende Heidentum offenkundig versagt haben, Bischöfe, die von ihren Pfarrern und Kirchengliedern öffentlich der Irrlehre angeklagt worden sind, sind unverändert in ihrem Amt. Bedrohung und Bedrückung derer, die eine Befriedung der Kirche auf der Grundlage des Bekenntnisses fordern, schreiten fort und nehmen in der verlesenen Verordnung schärfste Formen an. Wir erheben vor Gott und dieser christlichen Gemeinde Klage und Anklage dahin, daß der Reichsbischof mit seiner Verordnung ernstlich denen Gewalt androht, die um ihres Gewissens und um der Gemeinde willen zu der gegenwärtigen Not der Kirche nicht schweigen können, und zum andern bekenntniswidrige Gesetze von neuem in Kraft setzt, die er selbst um der Befriedung der Kirche willen aufgehoben hatte. Wir erklären, daß sein widerspruchsvolles Verhalten es uns unmöglich macht, ihm das Vertrauen entgegenzubringen, dessen er in seinem Amt bedarf."
Schon am nächsten Tag ging ein Denunziationsbrief von Matthes und seinen Gefolgsleuten an das Konsistorium. Diesmal werden Disziplinarverfahren und Amtsenthebung gleich aller vier Pfarrer gefordert. Pfarrer Huhn, der die Kanzelabkündigung nach dem Vormittagsgottesdienst verlesen hatte, und Pfarrer Moschütz, der nach dem Abendgottesdienst noch einmal dasselbe tat, wurden denn auch vom Konsistorium "mit allem Ernst und Nachdruck" verwarnt.
Es gibt eine Stellungnahme von Pfarrer Moschütz, den Matthes auch wegen angeblich "staatsfeindlicher Äußerungen" in einer Predigt angeschwärzt hatte, die uns wie in einer Blitzlichtaufnahme für einen Moment auch die Gemeinde selbst sichtbar macht. Pfarrer Moschütz erklärt: "Am 7. Januar 1934 habe ich nach dem Abendgottesdienst ohne Talar die Erklärung des Pfarrernotbundes verlesen. Vorher hatte ich am Schlusse der Abkündigung die Gemeinde auf meine Absicht aufmerksam gemacht, eine Erklärung verlesen zu wollen. Gleichzeitig bat ich die Anwesenden, die die Verlesung nicht mit anhören wollten, das Gotteshaus zu verlassen. Meinem Eindruck nach blieben alle anwesend. Ich verlas dann die fragliche Erklärung, gleichzeitig im Namen meiner Amtsbrüder, und forderte nach Verlesung die Gemeinde auf, ihre Zustimmung dadurch zu bekunden, daß sie mit mir einstimmen möchte in den Liedvers : Ach bleib mit Deiner Treue ... Die Gemeinde erhob sich und stimmte bewegten Herzens einmütig ein."

 

Zum Inhaltsverzeichnis der Chronik

Zum vorherigen Kapitel
Zum nächsten Kapitel