Der Gemeindekirchenrat unter Druck

Um die Amtsenthebung Pfarrer Freybes zu erreichen, hatte die Fraktion der Deutschen Christen von November 1933 an die GKR-Sitzungen über ein halbes Jahr lang durch ihr Fernbleiben boykottiert. Die Gemeindevertretung hatte sogar ein ganzes Jahr lang nicht getagt. Jegliche Arbeit war damit lahmgelegt - sehr zum Schaden der Gemeinde, wie die positiven Ältesten in einem Beschwerdebrief an das Konsistorium darlegen.
Erst als Pfarrer Freybe im Sommer 1934 die Geschäftsführung und den Vorsitz im GKR niederlegt, scheinen die Verwaltungsgeschäfte wieder in Gang zu kommen. Aber, wie Matthes ganz zu Recht befürchtet hatte, es würde sich auch unter der neuen Geschäftsführung von Pfarrer Huhn nicht viel ändern, "denn die Einstellung sämtlicher Pfarrer den ,Deutschen Christen' gegenüber ist die gleiche". Und die hatten sie ein Jahr zuvor deutlich genug demonstriert: "Es war stets üblich und ist auch stets so gehalten worden, daß nach der Kirchenwahl die gemeinsame Einführung der Ältesten und Gemeindeverordneten in ihre Ämter unter Vorantritt der Pfarrer in die Kirche geschah. Als (...) die 'Deutschen Christen' in den kirchlichen Körperschaften die Mehrheit erlangten, wurde mit diesem Brauch gebrochen. Sämtliche 4 Emmaus-Pfarrer stellten sich im Altarraum auf und nahmen an der Einführung nicht Teil", beklagt sich Matthes.
So gab es nun zwar ab Juni einige GKR-Sitzungen, aber schon im September brechen die Konflikte aufs Neue aus und die Deutschen Christen lehnen nun auch die Mitarbeit unter Pfarrer Huhns Geschäftsführung ab. Es ist müßig, hier die Streitpunkte aufzuzählen und das langwierige Ringen mit Beschwerden und Gegenbeschwerden nachzuzeichnen. Immer ging es nur um eines: Die Deutschen Christen, besonders wohl aber ihr Gruppenleiter, trachteten danach, sämtliche Macht an sich zu reißen und die Gemeinde nach ihrem Gutdünken ohne Einspruchsmöglichkeiten durch den GKR zu regieren. Mit Unterstellungen und Verbreitung von Gerüchten über Unregelmäßigkeiten bei der Kassenführung versuchten sie das Vertrauen in die Solidität der Ältesten aus der Fraktion der Positiven (bzw. des Bruderrats) zu untergraben. Die Abführung der Kollekten an die Bekennende Kirche war ihnen dabei ein besonderer Dorn im Auge. Pfarrer Huhn hat mit großer Klugheit, mit Diplomatie und Standfestigkeit diese Versuche abzuwehren verstanden. Er konnte sich dabei auf die unbedingte Treue seiner Mitstreiter und Ältesten verlassen. Mehr noch: Matthes verprellte durch sein Verhalten seine eigenen Gefolgsleute. Im Juni 1934 schied ein DC-Ältester aus der Gruppe aus und schloß sich der Bekennenden Kirche an, die er sogar im Bruderrat vertrat. So oder ähnlich handelten auch andere, die in der Zeit der großen Begeisterung aus dem Positiven Parochialverein ausgetreten waren, um sich den Deutschen Christen anzuschließen, und sich nun eines Besseren besannen. In den GKR-Sitzungen der Jahre 1934/36 häuften sich immer öfter Szenen wie diese: "... Herr Matthes äußert sich dazu in höchster Aufregung und beleidigenden Ausdrücken und fährt damit fort, obwohl ihm der Vorsitzende das Wort entzieht. Er verläßt unter dem dreimaligen Ausruf 'pfui Deibel' und heftigem Türenzuschlagen mit seiner Gruppe die Sitzung." Sein rüdes Verhalten, die von ihm ausgehende systematische Bespitzelung der Pfarrer, die er sich auch nicht scheute, bei der Gestapo anzuzeigen - mit all dem entzog er sich allmählich selber den Boden. Die Mehrheit deutsch-christlicher Ältester im GKR begann durch den Frontenwechsel einzelner zu bröckeln. Sie hatte ihnen ohnehin auf Dauer nicht viel genützt, da von den 11 Gewählten wohl nur selten alle vollzählig erschienen - ganz im Gegensatz zu den 4 Pfarrern und 7 Ältesten der Positiven. In der Gemeindevertretung lagen die Dinge wahrscheinlich nicht viel anders. Die meisten der dort hineingewählten DC-Vertreter hatten gar kein echtes Interesse an wirklicher Gemeindearbeit. Das deuten die Pfarrer wiederholt in ihren Stellungnahmen an.
Otto Matthes warf schließlich das Handtuch. In dem Protokoll der Gemeindekirchenratssitzung vom 19. Februar 1937 steht lapidar unter "Mitteilungen": "a) Herr Matthes hat sein Amt als Ältester niedergelegt. Der G.K.R. ist damit einverstanden. " Mit selbem Datum wird das Ausscheiden noch eines weiteren DC-Ältesten vermerkt. Letzterer war gänzlich aus der Kirche ausgetreten. Er lag damit ganz im Trend der Bewegung. Die Nationalsozialisten saßen nun längst fest im Sattel. Sie hatten jetzt kein Interesse mehr, die Kirche zu erobern, bald ging es nur noch darum, sie zu liquidieren. Hermann Rauschning, der die berühmten "Gespräche mit Hitler" aufgezeichnet hat, zitiert Hitler am 7. April 1933: "Mit den Konfessionen, ob nun diese oder jene: das ist alles gleich. Das hat keine Zukunft mehr. Für die Deutschen jedenfalls nicht. (...) Das wird mich nicht abhalten, mit Stumpf und Stil, mit allen seinen Fasern und Wurzeln das Christentum in Deutschland auszurotten. (...) Ob nun Altes Testament oder Neues, ob bloß Jesuworte wie der Houston Stewart Chamberlain will: alles ist doch derselbe jüdische Schwindel. Eine deutsche Kirche, ein deutsches Christentum ist Krampf. Man ist entweder Christ oder Deutscher. Sie können den Epileptiker Paulus aus dem Christentum hinauswerfen. (...) All das nützt nichts, sie werden den Geist nicht los, um den es uns geht. Wir wollen keine Menschen, die nach drüben schielen. Wir wollen freie Männer, die Gott in sich wissen und spüren."
Mit dem Ausscheiden von Matthes zog wieder Normalität in die Arbeit der kirchlichen Körperschaften ein. Die DC-Nachrücker im Ältestenamt waren offenbar keine Scharfmacher. Viele der Gewählten blieben den Sitzungen ohnehin aus Desinteresse fern. Der Anwesenheitsstand lag meist bei zwölf/dreizehn bei einer Gesamtmitgliederzahl von 21, davon dürften höchstens ein oder zwei Deutsche Christen gewesen sein. Und auch die haben sich den Mehrheitsentscheidungen der anderen angeschlossen. Anders ist nicht zu erklären, daß 1938 der verfolgte Bekenntnispfarrer Richard Zitzmann aus Dresden mit allen 15 Stimmen der bei der Wahl Anwesenden in die durch Pfarrer Moschütz' Ausscheiden frei gewordene 1. Pfarrstelle gewählt wurde. Ein Jahr vorher war Pfarrer Freybe in den Ruhestand getreten. Seine Pfarrstelle wurde eingezogen, so daß ab 1937 nur noch drei Pfarrer an Emmaus waren.

 

Zum Inhaltsverzeichnis der Chronik

Zum vorherigen Kapitel
Zum nächsten Kapitel