Predigt am Pfingstsonntag
18. Mai 1997 in der Ölbergkirche

Predigttext: Apostelgeschichte 2,1-36

Liebe Freundinnen und Freunde,

Wenn ich so an die Pfingstfeste meiner Kindheit und frühen Jugend zurückdenke, dann assoziiere ich damit eigentlich in erster Linie schönes Wetter. Meistens schien die Sonne auf das junge frische Grün, und sofort nach dem pflichtschuldigst abgesessenen Pfingstgottesdienst fuhren wir in die vielgeliebten Pfingstferien. Die anderen Feste, Weihnachten mit Baby und Hirten, aber auch Ostern mit dem gruseligen Kreuz und dem seltsamen leeren Grab waren für mich schon als Kind von starker Symbolik, aber mit Pfingsten und dem Geist konnte ich kaum etwas anfangen, auch nicht mit den feurigen Zungen, die wir im Religionsunterricht sich auf bärtige Männerhäupter niedersenkend malen sollten.

Dies änderte sich erst, als ich, flügge geworden, begann, auf eigene Faust die Welt zu bereisen, andere Länder und Kulturen kennenlernte, und besonders fremde Sprachen begannen, eine ganz besondere Faszination auf mich auszuüben. Da entdeckte ich die Pfingstgeschichte auf einmal ganz neu. Das Sprechen in fremden Zungen, das Hören-und Verstehenkönnen in der eigenen Sprache erweckte in mir Begeisterung. Die komplizierten, kaum aussprechbaren Ländernamen wurden mir zur plastischen Darstellung meiner eigenen Erfahrung mit der Fremdheit von Menschen und Kulturen, und die Pfingstgeschichte bestärkte meinen Drang, diese Fremdheit zu überwinden. Ja, und mit der Vermutung "sie sind voll des süßen Weines" wußte ich als Bewohnerin eines fränkischen Winzerdorfes auch etwas anzufangen. Auch hatte ich zunehmend Erfahrungen gemacht mit dem beglückten Rauschzustand, in den einen plötzlich aufbrechende Verständigung, plötzlich gelingende Kommunikation versetzen kann.

Seit dieser Zeit gehört mir die Pfingstgeschichte zu den liebsten Passagen in der Bibel. Oft habe ich sie zusammen gelesen mit der Geschichte vom Turmbau zu Babel. Da versuchen die Menschen, einen größenwahnsinnigen, totalitären Ei nheitsturm zu bauen, und Gott bestraft sie für dieses Ansinnen auf furchtbare Weise: Er entzieht ihnen die Möglichkeit, sich zu verständigen. Die Pfingstgeschichte nun ist eine Anti-Geschichte zur Turmbau-Erzählung: Verständigung ist möglich, obwohl die ja letztlich von Gott geschaffene Vielfalt der Sprachen erhalten bleibt. Der Geist von Pfingsten vermittelte keine Einheitssprache, so eine Art Esperanto des ersten Jahrhunderts, sondern die Möglichkeit der Verständigung trotz des Fortbestehens unterschiedlicher Kulturen, Sprachen und Identitäten. Weil Pfingsten das Fest der Vielfalt ist, innerhalb derer doch Gemeinschaft und Verstehen möglich sind, könnte es wirklich keinen besseren Termin für den "Karneval der Kulturen" geben.

Unterschiedliche Muttersprachen und trotzdem Verständigung-das ist der spektakuläre Aspekt an Pfingsten. Aber auch innerhalb einer Muttersprache ist gelingende Kommunikation ja keineswegs eine Selbstverständlichkeit, auch wenn sich das nach außen hin weniger dramatisch ausnimmt. Wir jedenfalls haben allen Grund, uns zu fragen, wie es denn in unserer Kirche, in unserer Gemeinde aussieht mit Sprachformen, die Grenzen und Barrieren überwinden können. Viele Menschen kehren der Kirche auch deswegen den Rücken, weil dort nicht ihre Sprache gesprochen wird, weil unsere Art zu reden sie nicht heimisch werden läßt. Es ist für mich eine große Belastung, zu spüren, daß auch meine Sprechweise immer wieder Menschen außen vor läßt. Es ist mir aber auch eine Beruhigung, in der Pfingstgeschichte zu lesen, daß dort nicht unbedingt alle Beteiligten auf einmal fremde Sprachen sprechen konnten, sondern daß alle die anderen in ihrer Sprache hörten. Vielleicht hat ja dann auch meine Sprache, trotz ihrer Begrenzungen durch Herkunft und Bildung, die Chance, von anderen Menschen verstanden und als ihre Sprache gehört zu werden. Wenn das geschieht, so denke ich, ist der Geist von Pfingsten mit im Spiel.

Vor ein paar Wochen stand ich gegen Mittag am Imbißstand an der Kottbusser Brücke in Berlin Kreuzberg, um mir einen Döner zu kaufen. Hinter mir standen eine junge, tiefverschleierte Türkin und eine alte, grau gekleidete Frau mit einem schweren schwarzen Fahrrad. "Bitte keine Zwiebeln" sagte ich zu dem jungen Mann am Döner-Stand, und auf sein höhnisches Grinsen hin erläuterte ich: "mein gestilltes Baby bekommt davon Blähungen". "Oh ja, es ist schrecklich" sagte die junge Türkin "mein Junge hat auch monantelang geschrien wegen Bauchweh"."Ich habe meine Zwillinge zwei Jahre lang gestillt" sagte die alte Frau "nach dem Krieg hatte ich nichts, was ich ihnen sonst hätte geben können". Ich nahm den Döner in Empfang und setzte mich auf einen Bank am Landwehrkanal, neben eine sehr blonde Frau mit sehr hochtoupierten Haaren und sehr roten Lippen. Bald kam ein alter Mann, wohl ohne festen Wohnsitz, den ich schon oft in Kreuzberg mit seinem Einkaufswägelchen durch die Straßen hatte ziehen sehen, und setzte sich zu uns. Die andere Frau rückte weg, bis sie nur noch mit einer halben Pobacke auf der Bank saß, blieb aber sitzen. Als der Mann eine Rotweinflache herauszog sagte ich zu ihm "kaufen sie sich lieber etwas zu essen" und gab ihm ein paar Markstücke. "Der kauft sich doch nichts zu essen, der versäuft doch alles" sagte meine Nachbarin und war sehr erstaunt, als der Mann sogleich zum Imbißstand zog. Bald kam er wieder mit einem halben Hähnchen und hinter sich der alten Frau, deren Pommes Frites (eigentlich wunderte ich mich, daß sie Pommes Frites aß) nun endlich fertig waren. Sie setzte sich neben den alten Mann, und so saßen wir nun zu viert sehr eng auf der Bank, wünschten uns einen guten Appetit und palaverten über das Wetter. Als ich mich zum Gehen anschickte, kam auf einmal die junge Türkin wieder, diesmal mit einem Kinderwagen. "Das ist mein Baby" sagte sie stolz "es ist jetzt schon ein Jahr alt".

Lieben Freundinnen und Freunde, dies ist eine unspektakuläre kleine Geschichte, wie wir sie alle täglich erleben können. Mit den Augen von Pfingsten betrachtet ist es eine Geschichte vom göttlichen Geist, der Verständigung schafft. Amen.