Vom 11.6.1999 bis zum 12.7.1999 war die Ausstellung ECCE HOMO in der Emmaus-Kirche zu sehen.
Hier ein Rückblick auf die ganze Veranstaltung und ein
Rückblick auf die Resonanz in den Medien.
Entscheidung
5. Mai: Auf dem Generalkonvent der Berliner PfarrerInnen erreicht Jörg Machel und Ulla Franken die Anfrage, ob Emmaus-Ölberg die Ausstellung ECCE HOMO übernehmen kann, weil das Projekt nach schon begonnener Vorbereitung in St. Matthäus nicht realisierbar ist.
9. Mai: Das Lausitzer-Platz-Fest nutzen wir zu Umfragen bezüglich der Ausstellung bei Gemeindegliedern und Anwohnern. Tendenz überwiegend zustimmend.
11. Mai: Das Mitarbeiterteam und die paternoster-Redaktion diskutieren das Thema. Alle wollen die Ausstellung unter der Bedingung, daß es professionelle Organisationshilfe gibt.
bis 14. Mai: Die telefonische bzw. persönliche Rundfrage bei den Gemeindekirchenrats-Mitgliedern ergibt ein klares Ja zur Ausstellung.
17. Mai: Das erste Planungstreffen mit Matthias Berke und Kathrin Krause, unseren künftigen Ausstellungsprofis, findet statt.
26. Mai: Der GKR bestätigt nach ausführlicher Diskussion auch formell seine Entscheidung für die Durchführung der Ausstellung ECCE HOMO in der Emmaus-Kirche.
Vorbereitung
Kosten: Etwa 40.000 DM sind kalkuliert. Neben einigen Sponsoren (Schwedische Botschaft, Restaurant Abendmahl, Gerüstbaufirma) brauchen wir mindestens 5.000 zahlende BesucherInnen, um die Kosten zu decken.
Präsentationskonzept: Vernissage mit der Künstlerin Elisabeth Ohlson, tägliche Öffnungszeiten, Predigtreihe, weitere Begleitveranstaltungen
Werbekonzept: Pressearbeit, Plakataktion, Einladungskarten, Megaposter-Aufhängung, Interviews, Direktmailings, Internet
Die Ausstellung läuft
BesucherInnen: Ihre Anzahl bleibt besonders in der ersten Woche weit hinter den Erwartungen zurück. Die Reaktionen sind durchweg positiv, teilweise sogar begeistert, aber es zeichnet sich ein großes Finanzloch ab.
Gemeinde: Ehrenamtliche HelferInnen machen die Ausstellungsbetreuung zu ihrer Sache, um Kosten zu sparen. Manche Seniorin behält eindrückliche Erinnerungen an Begegnungen mit SzenebesucherInnen.
Medienreaktionen: Die regional kirchliche Presse hält sich bedeckt, ansonsten ist das Medienecho von lokalen Zeitungen über Programmzeitungen, Szeneorgane, bundesweite Presse sowie Hörfunk und Fernsehen erfreulich groß und positiv. Die Bildaufmacher provozieren aber auch den einen oder anderen zu Urteilen, ohne die Ausstellung je gesehen zu haben. Unter anderem beschert ein Artikel der Berliner Morgenpost Jörg Machel und Ulla Franken eine Dienstaufsichtsbeschwerde, die aber Ende August vom Konsistorium zurückgenommen wird.
Gästebuch: Eine kleine Auswahl von Voten haben wir auf der Mittelseite dieser paternoster-Ausgabe zusammengestellt.
Verrücktes: Stinkbomben in der Kirche, Morddrohung per Telefon
Bilanz
Theologische Fragestellungen: Welche Bilder dürfen wir uns von Gott machen? Wie verfügbar ist Gott unseren Projektionen? Wer darf sich ihm dazugehörig glauben? Wer hat Platz am Tisch des Herrn und im Himmel der Erlösten? Drei Beispiele aus der Predigtreihe sind in diesem paternoster abgedruckt und versuchen zu antworten. Zwei weitere Predigten finden sich im Internet.
Projektabwicklung: Es wäre nicht gegangen ohne
- einen entscheidungsfreudigen GKR
- die beiden Ausstellungsprofis
- bereitwillige EhrenamtlerInnen
- Mehrarbeit der MitarbeiterInnen
- Nervenstärke und Humor bei allen Beteiligten
- Geld aus dem Gemeindehaushalt
Eindrucksvollste persönliche Erinnerung: Der Taufgottesdienst am 27. Juni
[Ulla Franken]
Wie aus heiterem Himmel fiel im Mai 1999 die Ausstellung ECCE HOMO in die Emmaus-Ölberg-Gemeinde. Termine waren schon vereinbart, ziemlich viele Kosten standen fest, und ob des vermeintlich brisanten Inhalts schien die Ausstellung auch Risiken für die Veranstalter zu bergen. Die Gemeinde stand vor der Wahl: Take it or leave it. Ja oder Nein.
Es war imponierend mitzuerleben, wie sich die Gemeinde diese Sache zueigen machte. Etwa ein halbes Jahr hatten wir zu zweit - Kunstpfarrer Christhard Neubert und ich - die Ausstellung für Berlin vorbereitet, dann schien doch noch alles zu platzen. Doch dann kamen Ulla Franken und Jörg Machel, Ingo Schulz, Kathrin Krause, Matthias Berke und alle die anderen. Ihre Devise: Alle Kraft voraus! Und ECCE HOMO kam tatsächlich nach Berlin.
Sechs Wochen blieben damals, um ganz Berlin mitzuteilen, daß ein aufsehenerregender Fotozyklus aus Schweden kommen und für eine Weile in einer Kreuzberger Kirche hängen würde. Wie erreicht man die Öffentlichkeit in einer Stadt, in der täglich rund 2000 kulturelle Ereignisse stattfinden?
Rückblickend betrachtet war die Ausstellung medial ein Riesenerfolg. Keine Berliner Tageszeitung, kein Kulturmagazin, keine Stadtzeitung, die nicht über ECCE HOMO in irgendeiner Weise berichtet hat. Um dieses Thema kam man einfach nicht herum. Rund 120 Medien überwiegend aus Berlin haben wir mit Informationen über die Ausstellung und die Künstlerin versorgt. Was die jeweiligen Redaktionen daraus machten, konnten wir natürlich nicht beeinflussen. Für mich als Journalisten war es eine neue Erfahrung, die Medienprozesse einmal aus anderer Sicht mitzuerleben:
Die Boulevardpresse reagierte am schnellsten. In der Woche der Vernissage setzte sie auf den Skandal, den die Ausstellung in Schweden entfacht hatte - natürlich in der Hoffnung, dass Ähnliches in Berlin möglich wäre. "Bild" legte vor, "BZ" und "Berliner Kurier" mussten wohl oder übel nachhechten. Der "Kurier" startete sogar eine Leserbefragung: Dürfen solche Bilder in einer Kirche hängen?
Die Landeskirche bemühte sich nach Kräften, den Vorurteilen von einer verzopften Kirche Vorschub zu leisten. Am Eröffnungstag von ECCE HOMO gab sie eine Pressemitteilung heraus, in der sie sich mit schwammigen Argumenten von der Ausstellung distanzierte. Nur wenige Zeitungen nahmen das auf. Dafür müsste die Pressestelle der Landeskirche eigentlich dankbar sein.
Die Idee, am Kirchturm ein Riesenposter mit einem Motiv von ECCE HOMO aufzuhängen, war hervorragend. So hatten die Medien einen neuen Anlass, über die Ausstellung zu berichten. Besonderes Interesse war durch die Diskussion über Werbeposter an der Gedächtniskirche vorgegeben. "Berliner Zeitung" und "Tagesspiegel" gingen ausführlich darauf ein.
Überhaupt: der "Tagesspiegel". Nicht weniger als siebenmal nahm diese Zeitung das Thema ECCE HOMO auf. Als einzige Zeitung berichtete sie auch ausführlich über die Reaktionen in der Gemeinde und über die Sonntagspredigten zur Ausstellung. Einem Mitarbeiter hatte die Ausstellung eben imponiert. Solche Effekte kann die beste Pressearbeit nicht erzeugen.
Zu den treuesten und engagiertesten Berichterstattern zählte die schwule und lesbische Presse. "Siegessäule", "Sergej", "Queer" kündigten die Ausstellung zum Teil großformatig an und berichteten auch im Nachhinein. Vor allem ihnen ist es zu verdanken, dass viele Schwule und Lesben den Weg in die Emmaus-Kirche fanden. Eintragungen im Gästebuch bezeugen, wie viele von ihnen zum erstenmal spürten, daß Kirche auch ihnen ein Angebot macht.
Auch das Fernsehen gab der Emmaus-Kirche die Ehre. "Sat 1" und ein schwul-lesbischer Kanal aus London drehten während der Pressekonferenz und der Vernissage. Sie machten das Projekt über die Stadtgrenzen hinaus bekannt.
Den schwedischen Organisatoren liegen Anfragen aus Düsseldorf, Tübingen und Frankfurt am Main vor, um die Ausstellung dort zu zeigen.
Manche in der Gemeinde hadern vielleicht noch mit der Besucherzahl. Ihnen sei versichert: Über 3000 Besucher würde sich angesichts der großen Konkurrenz jede Galerie und jeder Kunstverein in Berlin riesig freuen. Dank der großen Medienresonanz haben über die tatsächlichen Besucher hinaus sehr viel mehr Menschen von ECCE HOMO und vom Mut und von der Liberalität der Emmaus-Ölberg-Gemeinde erfahren.
[Johannes Wendland]