Es mag sich vielleicht lohnen, den Weg zu beschreiben, der für den Komponisten zu dieser musikalischen Gestaltung vom "Sonnengesang" des Franz von Assisi führte.
Am Anfang stand die Begegnung mit dem Tenor James McLean aus Kanada, der als Opernsänger in Nürnberg tätig war. Er hatte die Partie des Evangelisten in einer Wiederaufführung der durch meine Einfügungen des Passionstextes nach Markus ergänzten Markus-Passion von Johann Seb. Bach übernommen. Die Aufführung im März 1989 in der St. Lorenz-Kirche in Nürnberg war besonders durch die Gestaltung seiner Evangelisten-Partie außerordentlich eindrucksvoll. Später kam ich dann mit ihm und seiner Frau, die im dortigen Orchester als Harfenistin tätig war, in Kontakt, den ich über diese Begegnung in Nürnberg hinaus erhalten konnte. Ich hatte versprochen, etwas für ihre Möglichkeiten als Duo zu komponieren.
Vor diesem Ereignis fand mein kompositorisches Interesse für die Harfe schon seinen Anfang. Der Kontakt zu Musikern der Nordwestdeutschen Philharmonie in Herford kam durch Zusammenarbeit mit den Blechbläsern zu Stande, und plötzlich war auch die Harfenistin dabei, was die klanglichen Möglichkeiten erstaunlich erweiterte. Um aber für Harfe spielbare Musik zu schreiben, muß eine intensive Beschäftigung mit der Spiel- und Satztechnik dieses Instrumentes voraus gehen, sonst könnte es passieren, dass seitens des Harfenisten traurig bedeutet wird, dass diese Partie leider unspielbar sei. Ehe ich weitere Versuche mit Harfenkompositionen unternahm, habe ich zunächst eine Art "Gesellenstück", das Capriccio, hergestellt, in dem möglichst viele der Klang- und Spieltechniken des Instrumentes verwendet worden sind. Um diese Zeit ergaben sich neue Möglichkeiten dadurch, dass mein Kollege (an der Hochschule für Kirchenmusik in Herford für das Fach Klavier) Professor Langnickel, mit einer Harfenistin verheiratet war und häufig mit ihr Konzerte mit speziellen Stücken für Harfe und Klavier veranstaltete. Da für diese seltene Besetzung wenige Originalwerke zur Verfügung standen, hatte ich bald Gelegenheit, für die Langnickel-Konzerte zu komponieren.
Inzwischen war es 1991 geworden. Vom Ehepaar McLean erhielt ich eine neue Adresse. Das Paar ware jetzt an der Oper in Essen tätig und erinnerte mich daran, dass ich versprochen hatte, speziell für sie ein Stück zu schreiben. In diesem Jahr sollte unsere sommerliche Reise nach Frankreich in die Provence gehen. Von einem Standquartier aus wollten wir die Bereiche von Marseille bis nach Nizza erkunden. Nicht allein aus Interesse an der vielgestaltigen Landschaft. Hier war ich irgendwo 1945 als Kriegsgefangener in ein riesiges Sammellager von den Amerikanern verbracht worden, um dann von Marseille aus nach USA verschifft zu werden. In Erinnerung an diese besondere Lebenssituation wollte ich doch gern diese so gegensätzliche Landschaft wiedersehen. Daß daraus sich etwas ergeben würde, was Anlaß zur Komposition eines Stückes für das Sänger-Harfenistin-Ehepaar führen würde, konnte ich nicht vermuten. Das ereignete sich dann in Nizza, wo wir schließlich für 2 Tage gelandet waren. Beim Erkunden dieser "prominenten" Stadt hatten wir das Erlebnis der großen Bildtafeln im Chagall-Museum. Von dort aus gerieten wir auf eine steile Höhe über der in einer geschwungenen Bucht liegenden Stadt und in das kleine Klostermuseum, gelegen in blühenden, exotisch gestalteten Gärten. In den kleinen ehemaligen Klosterzellen waren Exponate zu betrachten, dazu allerlei Schriften ausgelegt. Da fielen die bunt gestalteten Blätter mit dem in viele Sprachen übersetzten "Sonnengesang des Franz von Assisi" auf. Als ob dieses Blatt auf mich gewartet hätte, erkannte ich schnell, dass dieser gewaltige, so umfassende Lobgesang genau die Vorlage war, auf die ich für mein Tenor-Harfe-Stück gewartet hatte. So kann es wohl sein, dass bei der späteren Gestaltung dieser Komposition meine Eindrücke aus Umwelt, Weg und Zeitläufen zusammenfassend darin tönend sich "erhören" lassen.
[Johannes E. Koch 07/05]