Johannes H. E. Koch (*23.3.1918): Das ist wahr (1969)

Der Text

Das Werke verwendet die Schütz-Motette "Das ist je gewißlich wahr":

Das ist je gewißlich wahr und ein teuer wertes Wort, daß Christus Jesus kommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen, unter welchen ich der fürnehmste bin.
Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, auf das an mir fürnehmlich Jesus Christus erzeigete alle Geduld, zum Exempel denen, die an ihn glauben sollen zum ewigen Leben.
Gott, dem ewigen Könige, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren und allein Weisen, sei Ehre und Preis in Ewigkeit, Amen.

und fügt folgenden Text hinzu:

Das ist ein wahres Wort, das von allen anerkannt werden muß. Jesus Christus kam auf die Welt um die Sünder zu retten. Ich bin der Schlimmste von ihnen. [Ab hier wird parallel der unten abgedruckte Psalmtext vertont.] Gerade deshalb hatte Gott Erbarmen mit mir. Jesus Christus wollte an mir seine ganze Geduld zeigen. Er wollte mit mir ein Beispiel aufstellen, was für Menschen künftig durch den Glauben zum ewigen Leben kommen können.

Aus Tiefen rufe ich zu dir, aus Tiefen rufe ich dich. Du, mein Herr, höre, Du, mein Herr, wer könnte bestehen. Ich erhoffe ihn, meine Seele hofft auf meinen Herren.

Zum Werk:

Wenn ich mich zu meinem Stück: "Das ist wahr" äußern soll, - 32 Jahre nach der Komposition - muss ich versuchen, mich in die damalige Bewusstseinslage zu versetzen, die zu solcher Konzeption geführt hat.
Ich war eingebunden in die Lehrtätigkeit an der damaligen Landeskirchenmusikschule (heute Hochschule für Kirchenmusik) im westfälischen Herford. Hier wirkte als Gründer und "spiritus rector" Wilhelm Ehmann, der unmittelbar nach Kriegsende, getragen von den Impulsen der Singbewegung, eine intensive Pflege der Chormusik von Heinrich Schütz aufnahm. Die zahlreichen praktischen Chorausgaben, bei denen ich öfters den Generalbass bearbeitet habe, zeugen von dieser Aktivität.
Ein zentrales Stück in der "Geistlichen Chormusik von 1648" von Heinrich Schütz ist die 6-stimmige Motette "Das ist je gewißlich wahr". Wie oft wurde sie im vollen Brustton der überzeugten "Verkündigung" bei Konzerten und Abendmusiken zelebriert!
Bedenkt man nun das Jahr 1969 als Entstehungszeit meines "Kommentars" zu dieser Motette, sollte die Bewusstseinslage mit den aufwühlenden Vorgängen der "68er" in Verbindung gebracht werden. Wie viel wurde in Zweifel gerückt, was selbstsicher lange Zeit als "wahr" verkündet wurde! Eine solche "Verunsicherung" traf nun auch die im naiven Glauben von uns verkündete Schütz-Aussage; kann man das immer noch so frontal absetzen?
Als ich den Auftrag erhielt, für das Schützfest in Herford 1969 einen kompositorischen Beitrag zu liefern, wurde ich von dem Impuls geleitet, etwas, das sich unreflektiert und selbstsicher im kirchenmusikalischen Repertoire befand, auf unkonventionelle Weise in Frage zu stellen. Die Vorstellung zur Gestaltung dieser Absicht kam mir im anonymen Geräuschumfeld einer Flugplatz-Wartehalle. Aus der Bedeutungslosigkeit eines solchen Geräuschpegels sollte sich unmerklich diese Frage erheben: "Das ist wahr?" In der Weiterführung dieser Vorsehung wurde der Versuch unternommen, zu den "Schütz-Tönen" eigene musikalische "Gegenaussagen" zu produzieren.
Die in diesen Jahren erschienene Neuübersetzung des Neuen Testaments im etwas saloppen Journalisten-Deutsch, forsch als "Gute Nachricht" benannt, lieferte die nötigen Textzeilen für die nun als Kommentar bezeichnete "Aufstockung" der in verschiedene Abschnitte zerteilten 6-stimmigen Schütz-Motette.
Bei der recht mühsam erarbeiteten Uraufführung - damals durch Wolfgang Gönnenwein - in rein chorischer, a-cappella-Interpretation entstand für den Hörer eine gehörige Verwirrung. Die Vielschichtigkeit des Stückes war kaum zu identifizieren. Nur die reinen Flüster- und Sprachpartien verfehlten nicht ihre Wirkung. Die schon einmal von Ingo Schulz dankenswert riskierte Wiederaufführung brachte das Stück dadurch zu einem besseren Höreindruck, dass er durch Instrumentierung die musikalisch so verschiedenen Schichten fast räumlich erfahrbar machte. So möge es auch diesmal gelingen, dass der differenzierte Höreindruck den Aussageabsichten - sollten sie auch noch den Ruch der "68er" an sich haben - zur Wirkung verhilft: Hier klingt etwas, "Das ist je gewißlich wahr!"
[Joh. H. E. Koch, Januar 2001]

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