Der Text von "Gethsemane"

Tilo Medek (*22.1.1940)
Gethsemane (1980)
Eine Kantate für Sopran- und Tenorsolo, Chor, Orchester und Orgel
Worte: Rainer-Maria-Rilke-Gedichte
in einer Textmontage von Dorothea Medek

 

I. Teil (Nr. 1 - 8)

 

1 Chor a cappella und Orchesterzwischenspiel

Wir wissen nichts von diesem Hingehn, das
nicht mit uns teilt. Wir haben keinen Grund,
Bewunderung und Liebe oder Haß
dem Tod zu zeigen, den ein Maskenmund

tragischer Klage wunderlich entstellt.
Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen.
Solang wir sorgen, ob wir auch gefielen,
spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt.

Doch als du gingst, da brach in diese Bühne
ein Streifen Wirklichkeit durch jenen Spalt,
durch den du hingingst: Grün wirklicher Grüne,
wirklicher Sonnenschein, wirklicher Wald.

Wir spielen weiter. Bang und schwer Erlerntes
hersagend und Gebärden dann und wann
aufhebend; aber dein von uns entferntes,
aus unserm Stück entrücktes Dasein kann

uns manchmal überkommen, wie ein Wissen
von jener Wirklichkeit sich niedersenkend,
so daß wir eine Weile hingerissen
das Leben spielen, nicht an Beifall denkend.

 

2 Duett: Sopran- Tenorsolo und Orchester

Er ging hinauf unter dem grauen Laub
ganz grau und aufgelöst im Ölgelände
und legte seine Stirne voller Staub
tief in das Staubigsein der heißen Hände.

Nach allem dies. Und dieses war der Schluß.

 

3 Tenorsolo und 3 Trompeten

Jetzt soll ich gehen, während ich erblinde,
und warum willst Du, daß ich sagen muß,
Du seist, wenn ich Dich selber nicht mehr finde.

Ich finde Dich nicht mehr. Nicht in mir, nein.
Nicht in den andern. Nicht in diesem Stein.
Ich finde Dich nicht mehr. Ich bin allein.

 

4 Frauenchor, Streicher, 2 Hörner, Röhrenglocken und Orgel

Nichts ist so stumm
wie eines Gottes Mund. Schön wie ein Schwan
auf seiner Ewigkeit grundloser Fläche:
so zieht der Gott und taucht und schont sein Weiß.

 

5 Tenorsolo und Orchester

Ich bin derselbe noch, der bange
dich manchmal fragte, wer du seist.
Nach jedem Sonnenuntergange
bin ich verwundet und verwaist...
Und so, mein Gott, ist jede Nacht;
immer sind welche aufgewacht,
die gehn und gehn und dich nicht finden.
Hörst du sie mit dem Schritt von Blinden
das Dunkel treten?
Auf Treppen, die sich niederwinden,
hörst du sie beten?
Hörst du sie fallen auf den schwarzen Steinen?
Du mußt sie weinen hören; denn sie weinen.

 

6 Chor und Orchester

Wir sind nur Mund. Wer singt das ferne Herz,
das heil inmitten aller Dinge weilt?
Sein großer Schlag ist in uns eingeteilt
in kleine Schläge. Aber auf einmal bricht
der große Herzschlag heimlich in uns ein,
so daß wir schrein -,
und sind dann Wesen, Wandlung und Gesicht.

 

7 Sopransolo, 2 Oboen und 2 Fagotte

Wohin reicht, wohin die Stimme der Menschen
wenn sie emporklingt? Schwingen,
schwingen die Himmel von ihr? Oder verbringt sie
immer ein schwindender Wind?

 

8 Tenorsolo und Orchester

Ich finde dich nicht mehr! Nicht in mir, nein.
Nicht in den andern. Nicht in diesem Stein.
Ich finde dich nicht mehr. Ich bin allein.

Ich bin allein mit aller Menschen Gram,
den ich durch Dich zu lindern unternahm,
der Du nicht bist. O namenlose Scham...

 

II. Teil (Nr. 9 - 17)

 

9 Orgelsolo

 

10 Chor mit Kontrabässen

Seit den wunderbaren Schöpfungstagen
schläft der Gott: wir sind sein Schlaf,
hingenommen, stumpf von ihm ertragen
unter Sternen, die er übertraf.

Manchmal rührt er sich von unserer Qual,
schmerzensähnlich zuckts durch seine Glieder,
aber immer überwiegt ihn wieder
seiner Welten heile Überzahl.

 

11 Tenorsolo und Holzbläser

Geh ich in dir jetzt? Bin ich im Basalte
wie ein noch ungefundenes Metall?
Ehrfürchtig füll ich deine Felsenspalte,
und deine Härte fühl ich überall.

Oder ist das die Angst, in der ich bin?
die tiefe Angst der übergroßen Städte,
in die du mich gestellt hast bis ans Kinn?

 

12 Chor, Sopransolo und Orchester

Die Städte aber wollen nur das Ihre
und reißen alles mit in ihren Lauf.
Wie hohles Holz zerbrechen sie die Tiere
und brauchen viele Völker brennend auf.

Und ihre Menschen dienen in Kulturen
und fallen tief aus Gleichgewicht und Maß,
und nennen Fortschritt ihre Schneckenspuren
und fahren rascher, wo sie langsam fuhren,
und fühlen sich und funkeln wie die Huren
und lärmen lauter mit Metall und Glas.

Es ist, als ob ein Trug sie täglich äffte,
sie können gar nicht mehr sie selber sein;
das Geld wächst an, hat alle ihre Kräfte
und ist wie Ostwind groß, und sie sind klein.

Sie gehn umher, entwürdigt durch die Müh,
sinnlosen Dingen ohne Mut zu dienen,
und ihre Kleider werden welk an ihnen,
und ihre schönen Hände altern früh.

Sie sind gegeben unter hundert Quäler,
und angeschrien von jeder Stunde Schlag,
kreisen sie einsam um die Hospitäler
und warten angstvoll auf den Einlaßtag.

Dort ist der Tod. Der Tod hängt grün und ohne Süße
wie eine Frucht in ihnen, die nicht reift.

O Herr, gib jedem seinen eignen Tod.
Das Sterben, das aus jenem Leben geht,
darin er Liebe hatte, Sinn und Not.

 

13 Duett: Sopran- und Tenorsolo mit Flöte, tiefen Streichern und Orgel

Tenorsolo und Sopransolo simultan

Tenorsolo:
Ich bin allein mit aller Menschen Gram,
den ich durch Dich zu lindern unternahm,
der Du nicht bist. O namenlose Scham...

Sopransolo:
Später erzählte man: ein Engel kam -.
Warum ein Engel? Ach es kam die Nacht
und blätterte gleichgültig in den Bäumen.
Die Jünger rührten sich in ihren Träumen.
Warum ein Engel? Ach es kam die Nacht.

 

14 Chor a cappella

Quellen, sie münden herauf,
beinah zu eilig.
Was treibt aus Gründen herauf,
heiter und heilig?

Wir, was erwidern wir
solcher Gebärde?
Ach, wie zergliedern wir
Wasser und Erde!

 

15 Sopransolo, 2 Hörner und Streicher

Ach es kam die Nacht.

Die Nacht, sie kam, war keine ungemeine;
so gehen hunderte vorbei.
Da schlafen Hunde und da liegen Steine.
Ach eine traurige, ach irgendeine,
die wartet, bis es wieder Morgen sei.

Denn Engel kommen nicht zu solchen Betern,
und Nächte werden nicht um solche groß.
Die Sich-Verlierenden läßt alles los,
und sie sind preisgegeben von den Vätern
und ausgeschlossen aus der Mütter Schooß.

 

16 Chor a cappella

Mehr als die Stürme, mehr als die Meere haben
die Menschen geschrieen...
   Welche Übergewichte von Stille
müssen im Weltraum wohnen, da uns die Grille
hörbar blieb, uns schreienden Menschen. Da uns die Sterne
schweigend schienen, im angeschrieenen Äther!

 

17 Tenorsolo und Orchester mit Orgel

...klag ich, klag ich?
Doch wie wäre denn die Klage mein?
Ach, ich schreie, mit zwei Hölzern schlag ich
und ich meine nicht, gehört zu sein.

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